Laufbahn in der Wissenschaft mit Profil und Perspektive

I.

Wissenschaft ist ein Berufsfeld mit Zukunft. Sie ist Ikone der Modernisierung und hat eine bunte Palette hervorgebracht an herausfordernden Berufen in Forschung, Lehre und Verwaltung.

Wissenschaft ist auch eine Institution mit Vergangenheit. Sie kann Erfolge vorweisen, die so groß sind, dass sie ihrer eigenen Modernisierung im Wege stehen: Die Institution hält mit ihren Innovationen nicht Schritt.

Wissenschaft steht zuvörderst für eine Unabhängigkeit im Denken. Diese will gewahrt sein gegenüber der Vereinnahmung partikularer Interessen. Dazu braucht es soziale Sicherheit und denkerische Freiheit.

Soziale Sicherheit stellt sich ein, wo Menschen für sich und ihre Familie eine Perspektive sehen. Denkerische Freiheit duldet außerhalb der Begriffe keine Hierarchien. Beides kommt zusammen in einer konsequenten Personalentwicklung an wissenschaftlichen Einrichtungen.

II.

Über die Laufbahn von Forschungsprogrammen und Wissenschaftlerinnen entscheiden disziplinäre Denkschulen in Verbindung mit der organisatorischen Machtfülle eines Lehrstuhls. Die disziplinär verfasste Wissenschaft verfährt selbstreferenziell und zeigt wenig Neigung, intramurale Konflikte offen oder gar öffentlich auszutragen; es kämpft jede nur für ihr Fach, für ihren Stuhl. Eine wissenschaftliche Laufbahn kann so nur planen, wer bereit ist, Abstriche beim Selbstdenken zu machen.

Die Professorin auf dem Lehrstuhl ist die Spinne im akademischen Netz. Hier laufen alle Karrierefäden zusammen. Die Professorin ist verbeamtet. Die ihr zugeordneten Wissenschaftlerinnen sind es nicht. Dabei verkörpert eine Professorin gerade mal zwölf Prozent der an einer deutschen Hochschule angestellten Wissenschaftlerinnen. Von denen sind Dreiviertel befristet beschäftigt, die meisten weniger als ein Jahr. Zum Vergleich: In den Vereinigten Staaten sind über die Hälfte der Wissenschaftlerinnen Full oder Associate Professor und gerade mal 17 Prozent sind befristet beschäftigt. Das ist eine Perspektive.

In Deutschland hält man eisern fest am Stellenplan der Universitäten und an der Anzahl der Professorinnen. Obwohl die Anzahl der Studierenden enorm zugenommen hat. Obwohl es immer mehr – befristete – Stellen gibt für eine wissenschaftliche Qualifizierung. Zehntausende hangeln sich so im akademischen Netz von einer prekären Beschäftigung zur nächsten ohne Aussicht auf eine Dauerstelle. Zumal die nicht einmal regelmäßig offen ausgeschrieben werden. Für die meisten ist im fünften Lebensjahrzehnt Schluss. Wer bis dahin nicht Professorin ist, kann einpacken. In der Wissenschaft. Und auf dem außeruniversitären Arbeitsmarkt. Das ist keine Perspektive.

Für eine Perspektive braucht es weit mehr unbefristete Stellen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, eine konsequente Personalentwicklung, die deutlich früher über den Verbleib im Wissenschaftssystem entscheidet und für Aufgaben in der Wissenschaftsverwaltung oder den außeruniversitären Arbeitsmarkt qualifiziert, und: die Lehrstühle gehören entrümpelt und damit wissenschaftsfremde und -schädliche Rangordnungen eingeebnet, damit selbstdenkende Individuen sich fern von disziplinären Hierarchien in alle Richtungen gedeihen können.

Ist der Lehrstuhl weg, kann keine mehr dran sägen. Die auf Selbsterhaltung ausgerichtete Machtfülle eines Lehrstuhls ist mit seiner ideologischen Trägheit inmitten rasant sich entwickelnder Ideen und Erkenntnisse ein erratisches Organisationsprinzip. Statt eine oder mehrere Professuren einem Lehrstuhl zuzuordnen, sollten diese begehrten Dauerstellen einer Fakultät, einem Institut oder einer zentralen Einrichtung zugeordnet werden. Unter deren Dach kooperieren die Professorinnen, Assistentinnen, Doktorandinnen und Studierenden in wechselnden Allianzen auf Augenhöhe. Das, und nur das ist die Einheit von Forschung und Lehre.

Die Fakultäten, Institute oder zentralen Einrichtungen erhalten die benötigten zusätzlichen Stellenhülsen von den Wissenschaftsministerien der Länder zugewiesen dergestalt, dass sie darüber entscheiden können, ob die Hülsen in Professorenstellen gewandelt werden sollen oder in mehrere geringer dotierte, nichtsdestoweniger unbefristete Stellen in Forschung und Verwaltung – selbstverständlich mit der Option auf jederzeitige Rückwandlung.

Neben der bedarfsgerechten Stellenplanung muss eine nachhaltige Personalentwicklung das Missverhältnis qualifizierter Kandidatinnen zu den verfügbaren Stellen berücksichtigen. Und sie muss die Platzierung der Kandidatinnen auch auf andere Positionen als der der Professur ermöglichen. Das auf eine Professur zugeschnittene Tenure-Track ist auf ein Multi-Track zu weiten, an dessen Ende die Übernahme auf eine Dauerstelle im Wissenschaftsbetrieb steht, sei es als Forscherin oder als Dienstleisterin. Auf dem Track gibt es nach regelmäßigen Beurteilungen Abzweigungen, die die Kandidatin einschlagen kann.

III.

Die der Wissenschaft eigenen Irrungen und Wirrungen erfordern eine außergewöhnliche organisationale Flexibilität. Diese Anforderung der Flexibilität darf aber nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Um in Forschung und Lehre sowie in der Wissenschaftsverwaltung erfolgreich zu sein, benötigen die Beschäftigten eine verlässliche Perspektive, eine, die sich mit der Beschäftigungsdauer weitet. Dazu müssen die Forschungseinrichtungen für ihr Projekt ‚Wissenschaft‘ mehr personelle Verantwortung übernehmen. Im Zuge mittel- und langfristiger Personalplanung sollten sie als verantwortungsvolle Arbeitgeber Brückenfonds einrichten, die sich aus Restmitteln, Einnahmen ohne Zweckbindung oder Overheadmitteln speisen können, um Befristungen in Arbeitsverträgen zumindest zu entschärfen.

Auch in der Wissenschaft gilt: Menschen mit Hochschulabschluss sind keine Hilfskräfte. Sie sind Fachkräfte, die einen Anspruch haben auf eine angemessene Beschäftigung, sozialversicherungspflichtig und mit Tariflohn – in Vollzeit. Das schließt ausdrücklich Doktorandinnen mit ein.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das einerseits beliebig viele Befristungen bei drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten gestattet, andererseits die Gesamtlaufzeit von Befristungen beschränkt bei Nicht-Promovierten auf sechs Jahre und bei in der Zwischenzeit Promovierten auf noch einmal sechs Jahre (promovierte Mediziner neun Jahre), hat wesentlich die explosive Zunahme der wissenschaftlichen Qualifizierungsstellen verursacht. Zur Umsetzung der Befristungsrichtlinie (1999/70/EG) war es jedenfalls nicht erforderlich, da das Teilzeit- und Befristungsgesetz strengere Vorgaben normiert.

Das WissZeitVG muss dringend dahingehend novelliert werden, dass die Ausnahmen vom TzBfG so weit konkretisiert sind, damit es nicht mehr pauschal auf alle Wissenschaftlerinnen angewendet werden kann, sondern nur in bestimmten Fällen der Qualifizierung, bei Vertretungen oder Gastwissenschaftlerinnen, oder im Falle anders nicht realisierbarer Drittmittelprojekte.

Befristungen sind ein Ärgernis, das sich in Ausnahmefällen rechtfertigen lässt. Sachgrundlose Befristungen aber sind eine Frechheit. Sie tragen den sozialen Affront schon im Namen. Will man eine sachgrundlose Befristung rechtfertigen, kommt man in Ermangelung eines Sachgrunds geradewegs auf die Person: Die Arbeitnehmerin ist aus persönlichen Gründen befristet beschäftigt. Das geht gar nicht! Dennoch sind die Arbeitsverträge von über der Hälfte in der Wissenschaftsverwaltung sachgrundlos befristet.

Befristet in der Wissenschaft Beschäftigte stehen in der – teils gewollten, teils selbstverschuldeten – Wissenschaftshierarchie ganz unten. Sie stellen die große Mehrheit des akademischen Prekariats, ohne an Entscheidungen, die sie betreffen, beteiligt zu sein. Daher gehören Vertreter der befristet Beschäftigten einer Forschungseinrichtung entsandt in Entscheidungsgremien wie den Senat, Verwaltungs- oder Hochschulrat, und zwar anteilsmäßig. No term-limitation without representation!

IV.

Im Geiste dieser Erklärung sind flankierende Maßnahmen zur Modernisierung der Wissenschaftsorganisationen zu ergreifen, die den Wissenschaftler als Beruf wegführen vom feudalen Lehrstuhl mit Hofstaat hin zu einer organisierten Personalentwicklung nach wissenschaftlichen Standards, so dass sich in der Summe eine Laufbahn in der Wissenschaft mit Profil und Perspektive abzeichnet. Das Profil ist professionell, die Perspektive partizipativ. Beides ist sozialdemokratisch.